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Forschungsprogramm

Mitglieder des GRKs bei der Tagung "Moving Normativity"

Mitglieder des GRKs bei der Tagung "Moving Normativity"

Das neue GRK 2638 widmet sich Fragen bezüglich des Zusammenhangs von Normen und ihrer Kritik sowie der Verbindung von Normen und sozialem Wandel. Untersucht werden spezifische Strukturen normativer Praktiken, die den Künsten, dem Recht, der Religion, der Sprache und der Moral gemeinsam sind. Diese normativen Praktiken zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer an bestimmte Standards gebunden sind. Für künstlerische Gattungen, moralische Gewohnheiten und sprachliche Konventionen sind Bezüge auf explizite und implizite Regeln relevant. Zugleich sind diese normativen Praktiken aber auch dadurch bestimmt, dass diejenigen, die sich innerhalb ihrer bewegen, kritisch auf die sie leitenden Standards reflektieren und sich von ihnen zu distanzieren haben, um sie in angemessener Weise fortzusetzen. Das GRK untersucht diesen Aspekt von Normativität in den genannten Kontexten – d. h. in Kunst, im Recht, in der Religion, in der Sprache und der Moral – und analysiert (zum Beispiel im Rahmen einer Ringvorlesung) die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Geleitet wird das GRK dabei von der Hypothese, dass kritische Transformation ein konstitutives Moment von Normativität darstellt. Das GRK erforscht den transformativen Aspekt der Normativität in diesen Kontexten und analysiert die Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das GRK setzt Normativität und Transformation nicht gegeneinander, sein Hauptziel besteht darin, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie Transformation in der Normativität angelegt ist.

Dieser Forschungshypothese zufolge zeigt beispielsweise die Debatte zur Geschlechtsneutralität in der Sprache, dass Standards normativer Praktiken keine einfach vorgegebenen Regeln sind, die eins zu eins übernommen werden, als wären die Akteur*innen sprachlich ausgebildete Automaten. Vielmehr sind Normen aus Sicht des GRKs immer mit Kontroversen und unterschiedlichen Interpretationen verbunden. Die Applikation einer Regel ist insofern eine hermeneutische Praxis, die fundiertes Wissen über diese Regel und ihre Rechtfertigung erfordert. Das Regelfolgen im vollen Sinne ist, noch einmal anders gesagt, immer improvisatorisch und spontan. Somit kann die Anwendung einer Regel zu ihrer Transformation führen und Transformation selbst zum Standard von zum Beispiel künstlerischen Praktiken werden. Indem das GRK die transformativen Aspekte der Normativität untersucht, versucht es, den Unterschied zwischen Innovation um der Innovation willen als einer Norm, die Gefahr läuft, zum leeren Stereotyp zu verkommen, auf der einen Seite und einem Verständnis von Transformation als hermeneutischer Norm auf der anderen Seite aufzuzeigen. Die Forschungsagenda des GRKs basiert auf der Prämisse, dass Normativität, die für die untersuchten Phänomene als angemessen verstanden wird, auf der Grundlage des in verwandten Disziplinen gesammelten Fachwissens modelliert werden muss. Deshalb versucht das GRK, die Perspektiven der folgenden Disziplinen (alphabetisch geordnet) zusammenzuführen:

Deutsche Literaturwissenschaft, Filmwissenschaft, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Niederlandistik, Philosophie, Rechtswissenschaft, Religionswissenschaft, Tanzwissenschaft und Theaterwissenschaft

Das Forschungsprogramm des GRKs kann anhand von vier Leitfragen formuliert werden, die somit den analytischen Rahmen des GRKs 2638 umschreiben:

(1) Wie lässt sich die Praxis der Anwendung einer Norm untersuchen? Sind normative Standards an Kritik gebunden und wenn ja, wie kann eine solche Kritik als konstitutives Element von normativen Praktiken verständlich gemacht werden? Inwiefern ist Normativität an sich als transformativ zu begreifen?

(2) Ermöglicht die kritische Reflexion kontinuierliche normative Zusammenhänge oder entstehen durch Kritik Brüche innerhalb normativer Praktiken? Welche Rolle spielt Kritik für die Kontinuität und Diskontinuität einer Praxis? Können normative Praktiken durch Krisen lernen? Wie lässt sich die Kollision von Normen konzeptualisieren?

(3) Gibt es einen Unterschied zwischen traditionellen Vorstellungen von Normenanwendung und modernen Auffassungen von Normenanwendung? Spielt das Selbstverständnis, das mit der Teilnahme an normativen Praktiken verbunden ist, eine Rolle bei der Anwendung von Normen? Was bedeutet es, den Anspruch zu verfolgen, die Bindung an Standards mit einer kritischen Perspektive auf diese Standards zu verknüpfen?

(4) Wie ist der Einfluss der Sprache auf die Konstitution der verschiedenen normativen Praktiken zu verstehen, auf die sich das GRK konzentriert? Welche Rolle spielen die sprachlich vermittelten Begründungen und Beurteilungen bei der Transformation von Normen? Wie kann Sprache zugleich als Medium und als Gegenstand der Kritik verstanden werden?

Das GRK entwickelt sein gemeinsames Arbeitsprogramm ausgehend von diesen vier Schlüsselthemen und soll einen breiten theoretischen Wissensaustausch in einem interdisziplinären Forschungsumfeld ermöglichen. Es umfasst 14 PIs aus 10 unterschiedlichen Disziplinen, wobei sowohl die Geistes- als auch der Rechtswissenschaften vertreten sind. Das innovative Forschungsdesign des GRKs 2638 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Neue Konzeptualisierung von Normativität unter expliziter Berücksichtigung künstlerischer Praktiken
  • Neue Thematisierung der Relevanz von Kritik, die über die Grenzen der Subversion hinausweist
  • Neue Perspektiven auf die beteiligten Disziplinen durch einen interdisziplinären Ansatz
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